Die Fotografie ist tot, es lebe die Fotografie
Auch wenn es erschreckend viele Kolleg:innen nicht wahr haben wollen – wir stehen in der Fotografie vor dem größten Umbruch, den es jemals gab. Es ist nicht vergleichbar mit dem Wechsel von analog zu digital, sondern es hat schon die Qualität vom Übergang der Malerei zur Fotografie selbst.
An der Oberfläche zeigen sich nach wie vor nur Risse. Nicht wenige Fotograf:innen verzeichnen einen Rückgang der Aufträge, der Anfragen oder auch der verfügbaren Models. Da es aber abseits der künstlichen Intelligenz gerade an allen Ecken der Welt brennt, kann man leicht versucht sein zu ignorieren, dass das Problem vor allem durch die KI befeuert wird – so wie es unfassbar viele Kolleg:innen gerade in den sozialen Netzen tun. Da wird alles gemutet oder geblockt, was sich mit AI befasst – getreu dem kindlichen Motto „was ich nicht sehen kann, existiert auch nicht“. Und wenn man sieht, wie lange beispielsweise Midjourney nach anfänglich atemberaubendem Tempo schon auf der Stelle tritt und noch immer die Anzahl der Finger oder Gelenke nicht verlässlich hinbekommt, kann man vielleicht noch ein wenig Verständnis für die Sorglosigkeit haben. Nur: Midjourney ist lediglich die populäre Spitze des AI-sberges.
Wer glaubt, allein durch Midjourney ersetzt zu werden, dem/der sei gesagt, dass er/sie früher auch nicht den Job bekommen hätte, da sich entsprechende Kund:innen stattdessen bei den Stockagenturen für paar Cent ein Bild besorgt hätten. Nein, die Gefahr für den gesamten B2B-Bereich kommt durch die ganzen kleinen spezialisierten Anbieter, bei dem dann ein Grundlagenbild für alle Varianten reicht (wie Flux) oder wo aus mehreren Schnappschüssen Menschen in alle anderen Vorlagen gesetzt werden können und durch die mächtige Kombination von CGI und KI. Was letztes Jahr noch fotografiert wurde, wird in gleicher Zeit von einem Team, das nur noch ein Drittel so groß ist und keine Spesen verursacht, nicht weniger realistisch in 3D nachgebaut. Und im nächsten Jahr wird man sich dann sogar noch die Models sparen können.
Coca-Cola, Mango & Co. machen ihre AI-Kampagnen auch nicht nur, um kostenlose Weiterverbreitung durch die Medien zu bekommen. Während das natürlich ein schöner und kalkulierter Nebeneffekt ist, ist es eben auch ein Proof of Concept hinsichtlich dessen, was möglich ist und wohin die Reise gehen wird. Noch lehnen sich viele gegen diese AI-Bildwelten auf, aber je allgegenwärtiger die AI ist, die inzwischen auch auf jedem Smartphone einzieht, desto alltäglicher wird sie und die Ablehnung wird erodieren. Selbst das kommerzielle Totschlagargument, dass AI-Bilder sich nicht urheberrechtlich schützen lassen, greift schon jetzt bei Coca-Cola & Co nicht, denn auch ohne urheberrechtlichen Schutz wird keiner den Clip an sich nutzen können – dank der Markenrechte. Auch Disney wird im Disney Animation Logo Steamboat Mickey nicht aus Liebe zur Maus eingebaut haben. Sie wussten, dass das Urheberrecht auf diese Variante der Maus auslaufen wird. Durch Einsatz als Logo haben sie aber für diese Nutzungszwecke ein Markenrecht aufgebaut.
Dazu dürfen wir nie vergessen, dass wir trotz allem noch immer am Anfang der KI-Entwicklung stehen. All die Tools werden im Laufe der Zeit noch einfacher zu bedienen sein und noch bessere Ergebnisse liefern, auch wenn vielleicht die explosionsartige Geschwindigkeit der ersten Zeit etwas nachgelassen hat.
Fotograf:innen, die vor allem Endkunden haben, sollten sich jetzt aber nicht beruhigt zurücklehnen. Zum einen wird der Kundenkreis an sich schon mal kleiner, da mit all den leichten und automatischen Bearbeitungen auf dem Smartphone das Verlangen nach professionellen Bilder abnimmt. Zum anderen sagen all die B2B-Fotograf:innen, denen gerade der Markt wegbricht, auch nicht „schade, dann werde ich halt Gärtner“ und verkaufen all ihr teures Equipment, sondern sie suchen nach den Nischen, die noch immer Geld versprechen und fluten die Angebotsseite des Marktes bei abnehmender Nachfrage.
Was bleibt also? Ich wage zu hoffen und zu behaupten, dass es vielleicht nur das Ende der Wegwerf-Fotografie bedeutet. Der Fotografie, die eh immer nur darauf ausgelegt war, einmal kurz gesehen zu werden, um dann im Papiermüll zu verschwinden, weil der Katalog oder der Corporate-Bericht ausgedient hat. Künstlerisch und inhaltlich ist es sicherlich kein großer Verlust, wenn die seelenlose Massenfotografie durch seelenlose Massengenerierung abgelöst wird. Und ich hoffe, dass dadurch die „echte“, die authentische Fotografie gestärkt wird, in der es wirklich um den Menschen vor der Kamera oder um die Aussage des Künstlers hinter der Kamera geht. Authentizität möchte ich allerdings hier nicht mit „dokumentarisch“ gleichgesetzt wissen, denn auch einer Inszenierung kann Authentizität innewohnen.
Für die Fotografie und die Fotograf:innen liegt genau hier die Chance. In der Portraitfotografie wird es nicht mehr reichen, einfach hübsche Bilder zu machen, die jedes Smartphone auch hinbekommt. Es braucht Künstler:innen, die es schaffen, hinter die Fassade eines Menschen zu schauen und in den Bildern mehr zu zeigen als das rein Äußerliche. Es braucht Fotograf:innen, die sich wirklich auf den Menschen vor der Kamera einlassen, mit ihm zusammen die Bilder erstellen und ihm ein Gesamterlebnis bieten, das sich vom reinen Bildergebnis am Ende abhebt. Es geht nicht mehr nur um das Endziel der Abbildung, sondern der Weg dorthin ist fast genauso wichtig. Und das gilt für erwachsene Kund:innen ebenso wie in der Kinderfotografie.
Gleichzeitig gilt es, AI-basierte Tools für sich sinnvoll zu nutzen, um Arbeitsprozesse zu beschleunigen und damit konkurrenzfähig zu bleiben.
Für die künstlerische Fotografie wird sich wenig ändern, allein das Toolset wird sich etwas erweitern. Vielleicht werden sie sogar am Ende mit am meisten profitieren. Noch immer wird die fotografische Kunst gerade in Deutschland erschreckend wenig beachtet und wertgeschätzt. Mit immer größerer und zunehmend bedeutungsleerer künstlicher Massenbilderflut wird vielleicht die Sehnsucht nach echten Bildern und echter Kunst größer. Es wird hierzulande sicher immer eine Nische bleiben, aber jede Vergrößerung dieser Nische wäre ein Gewinn für die Fotokünstler:innen. Gleiches gilt für die Nische der analogen Fotografie.
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