Kollodium Nassplatte – eine Einführung und besondere Tücken für den Fotografen
Die Welle der Renaissance einer alten historischen Fototechnik schwappt nach Jahren nun auch über den großen Teich nach Deutschland. Mehr und mehr Fotografen widmen sich hier der Kollodium Nassplatte, wobei die Technik beim Publikum selbst zumeist noch völlig unbekannt ist.
Mit dem Erstarken der analogen Fotografie ist man schon froh, dass die „digital natives“ eine Ahnung haben, wie man vor der Digitalfotografie Bilder aufgenommen hat. Aber dass es zahlreiche Techniken vor dem fotografischen Film von George Eastman gab, ist den meisten noch immer völlig unbekannt.
Die beiden ersten grundsätzlich massentauglichen Verfahren wurden 1839 von Louis Jacques Mandé Daguerre und William Henry Fox Talbot vorgestellt. Doch sowohl die Daguerreotypie als auch die Talbotypie wiesen so gravierende Nachteile auf, dass die Kollodium Nassplatte ab der Erfindung 1851 die Welt erobern konnte.
Bei der Daguerreotypie musste auf Silberplatten oder versilberten Platten fotografiert werden, die zum einen ihren Preis hatten und zum anderen an die 20 Minuten auf Hochglanz poliert werden mussten. Zudem war die Chemie vergleichsweise langsam und brachte lange Entwicklungszeiten mit sich und die Entwicklung erfolgte mich hochgiftigen Quecksilberdämpfen. Außerdem war es ein reiner Positivprozess. Man erhielt nur das eine Bild und konnte keine Abzüge davon fertigen.
Dies brachte die Talbotypie zustande, da hier direkt auf Papier fotografiert wurde. Mit Wachs durchsichtig gemacht, konnten Abzüge davon hergestellt werden, aber sie wiesen einen eklatanten Nachteil auf: Die Papierstruktur des Negativs war im Positiv sehr deutlich zu sehen. Ein weiterer Punkt, der das Verfahren für viele unattraktiv machte: Talbot hielt ein Patent darauf und jeder, der es nutzen wollte, musste Lizenzgebühren zahlen.
Unabhängig voneinander erfanden Frederick Scott Archer und Gustave Le Gray die Kollodium Nassplatte, wobei Scott Archer die Technik inklusive der Formeln 1851 in der Zeitschrift „The Chemist“ veröffentlichte ohne ein Patent darauf anzumelden. Tabot, ganz der Geschäftsmann, prozessierte dagegen, da allein ihm das Negativprinzip zustehen würde, unterlag am Ende aber. Daguerre und Talbot starben dafür trotzdem als reiche Männer, während Scott Archer am Ende arm und vergessen war.
Kurz gesagt ging es bei der Kollodium Nassplatte darauf, dass ein Silberbild mittels einer Kollodium-Schicht auf einem Glasträger haftet. Durch die Glätte und Reinheit des Glases sind bei der Anfertigung von Kopien keine Strukturen wie bei der Talbotypie in der Kopie zu sehen. Zudem entwickelten Scott Archer und Peter Wickens Fry dank des Dunkelfeldprinzips das Kollodiumpositiv. Wurde ein nur schwach entwickeltes Negativ auf einer Glasscheibe schwarz hinterlegt, wirkt das Negativ wie ein Positiv. Daraus hat sich dann auch das Tintype entwickelt, wo direkt auf geschwärztem Eisen (heute Aluminium) fotografiert wird, was weniger fragil und deutlich günstiger als die Glasplatte war. Heute wird neben diesen Möglichkeiten auch gerne direkt auf geschwärztem Glas fotografiert.
Ich möchte an dieser Stelle gar nicht genau ausführen, wie genau jeder Einzelschritt bei der Erstellung einer Nassplatte funktioniert. Ein wenig haben wir in der Folge 9 unseres Podcasts vom Studio Kreativkommune beschrieben, wo wir uns mit dem österreichischen Nassplattenfotografen Markus Hofstätter unterhalten haben. Zudem gibt es ein deutschsprachiges Lehrbuch (Amazon-Partnerlink) und wir empfehlen eh, bei einem Fotografen, der mit Kollodium Nassplatte arbeitet, einen Kurs zu buchen oder zumindest über dessen Schulter zu schauen. Inzwischen findet sich fast in jeder Region einer. Hier in Kiel / Schleswig-Holstein könnt ihr es bei mir machen, in Hamburg z.B. bei Oliver Rolf, in Berlin beim Central Valley Project oder Christian Klant und in Österreich beispielsweise bei Markus Hofstätter. Die Technik ist so voller Tücken und Fallstricke, es sind handwerkliche Griffe und Kniffe dabei und man braucht so viel als Grundausrüstung, dass es in jedem Falle sinnvoll wäre, erstmal zu schauen, ob man sich wirklich dauerhaft damit beschäftigen möchte. Ein Kurs ist da sinnvoller investiertes Geld, als wenn man das in unzähligen Fehlversuchen und ggf. falschem Equipment versenken würde.
Ich möchte aber auf zwei besondere Tücken bei der Nassplatte eingehen — dem Lichthunger und dem besonderen Farbverhalten.
Der Lichthunger einer Kollodium Nassplatte
Fotografen, die mit Kollodium Nassplatte arbeiten, haben ein Problem: ein „zu viel“ an Licht gibt es eigentlich nicht. Eine Nassplatte hat – je nach Rezept und Alter der Chemie – eine Empfindlichkeit zwischen 0,25 und 0,4 ISO. Im Studiobereich bewege ich mich trotz hellem Dauerlicht etwa um die 20 Sekunden für eine Belichtung, draußen kann es durch den höheren UV-Anteil im Licht auch im einstelligen Sekundenbereich liegen.
Solche Zeiten sind für die meisten Menschen schon eine kleinere Herausforderung. Richtig schwierig bis unmöglich wird es bei Posen, die man nicht einfach so halten kann (Sport, Ballett usw.) oder bei Personen, die Klassischerweise selten stillhalten — wie Kinder.
Blitzlicht zu finden, dass diese Lichtmenge bietet, ist inzwischen ein sehr schwieriges Unterfangen geworden. Momentan fällt mir nur der Briese Cube 6400 und der Hensel Tria 6000 ein. Beides Arbeitspferde, die nur auf Bestellung gebaut werden.
Wir hatten das Glück einmal Frank von Hensel bei uns im Studio zu haben und er hat uns einen Hensel Tria 6000 zum ausgiebigen Testen hingestellt. Ich hatte meinen 3200er Broncolor zwar schon mal erfolgreich mit Nassplatte eingesetzt, aber man kann damit nur sehr nahe Headshots mit sehr offener Blende fertigen, wie in diesem Beispiel:
Nun möchte ich aber auch gerne die Möglichkeit haben, beispielsweise mit älteren Großformatlinsen zu arbeiten, die manchmal erst bei Blende 8 anfangen. Oder Personen auch von weiter weg zu portraitieren oder Kameras wie die Polaroid Miniportrait zu nutzen, die auch erst bei Blende 8 beginnt.
Mit dieser Kamera aus dem 20. Jahrhundert lässt sich nämlich mit der Aufnahmetechnik aus dem 19. Jahrhundert etwas machen, das selbst im 21. Jahrhundert nur extremst selten zu finden ist: Fun-Bilder als echtes Silberunikat auf Glas oder Aluminium. Etwas, das Generationen überdauern wird.
Aber auch in der Schärfe bringt so ein Blitz große Unterschiede: Diese Schärfe, bei der man jede Pore, Falte und Ader im Auge sieht, könnten nur die wenigsten Personen mit Dauerlicht hinbekommen, einfach weil so viele Mikrobewegungen in der Zeit vorhanden sind. Der Blitz friert es perfekt ein — selbst auf Glas oder Aluminium.
Auch Frank von Hensel war bei der Begutachtung des Ergebnisses im Labor extrem von der Schärfe beeindruckt.
Oder man denke nur an richtig sportliche Posen. Ein Kick? Auf Nassplatte, ohne dass alles irgendwie fixiert worden wäre, undenkbar.
Ich weiß, dass es gerade bei den Nassplattenfotografen viele Puristen gibt, die bei dem Gedanken an Blitz schaudern — schließlich hätte man es damals so auch nicht gemacht. Nun, man hat es damals deswegen nicht gemacht, weil es diese Technik eben noch nicht gab. Hätte es damals Blitze wie den Hensel Tria 6000 gegeben, hätten sie ihn selbstverständlich verwendet (und sich später die gefährlichen Magnesiumblitz-Aktionen erspart). Natürlich gibt es auch für Nassplatten inzwischen andere Techniken, aber die haptische und optische Eleganz einer Nassplatte ist nachwievor unnachahmlich. Dass sich echte Silberbilder auch in der Wertigkeit von Digitalbildern unterschieden, muss man sicher nicht weiter ausführen und auch von der unterschiedlichen Haltbarkeit brauchen wir nicht zu reden. Der valide Punkt der Entschleunigung auf beiden Seiten trifft durchaus auch noch auf die Blitzfotografie zu, so dass es doch nun gerade schön ist, wenn sich die Person vor der Kamera ganz frei entscheiden kann: Auf die klassische Art mit dem Stillhalten oder ein Hauch von Moderne mit dem extrem scharfen Einfrieren auch schneller Bewegungen. Alles ist möglich.
Die spezielle Farbempfindlichkeit einer Kollodium Nassplatte
Jedes fotochemische Verfahren hat seine individuelle spektrale Empfindlichkeit. Die Kollodium Nassplatte ist eins der „unempfindlichsten“ Verfahren, wenn man es so formulieren möchte. Die Empfindlichkeit beginnt weit im UV-Bereich und hört schon im grünen Bereich auf – noch deutlich von einem orthochromatischen Film entfernt. Das bringt dem Nassplattenfotografen einige Tücken.
Belichtungsmesser sind eine reine Annäherung. Zum einen hören die klassischen Belichtungsmesser bei 3 ISO auf zu messen (zur Erinnerung: Nassplatte hat zwischen 0,25 und 04 ISO), zum anderen messen sie nicht die UV-Intensität des Lichts. Draußen werde ich – bei für den Belichtungsmesser gleichen Werten – deutlich kürzer belichten müssen als bei Studiolicht drinnen. Mache ich ein Portrait hinter einer Fensterscheibe, die UV-Licht blockt, werde ich gar nicht glücklich. Neben Annäherung durch einen Belichtungsmesser (oder beispielsweise einer App wie Pinhole Assist) bleibt mir nur die Erfahrung und Belichtungstests.
Aber auch für das, was wir fotografieren, sind die Folgen gravierend. Alles das, was oberhalb dieses für die Platte sichtbaren Spektrums liegt, wird schwarz. Also auch Hautrötungen, Unreinheiten, Lippenstifte, Rouge etc. Alles, was sich am unteren Ende befindet, wird weiß. Deswegen wird man auf einer Nassplatte nie einen spektakulären Himmel sehen und die Augen blauäugiger Menschen werden extrem hell. Inzwischen sind auch immer häufiger Tattoos anzutreffen, die ähnliche Probleme machen: Farben mit einem hohen Blauanteil in den Pigmenten werden hell, andere Farben sehr schnell sehr dunkel. Tattoos als solche sind – je nach verwendeter Farbe – teilweise nur noch fleckig oder gar nicht zu sehen. Ein Fotograf hat sich diese Eigenart mal zu Nutze gemacht und Maoris mit Gesichtstätowierungen auf Nassplatte fotografiert, auf denen sie völlig tattoofrei wirkten. Bunte Tattoos wirken dann schnell so wie hier (links digital, mitte normale s/w-Umwandlung, rechts Kollodium):
Im besten Fall sind es nur kleinere Schattierungen:
Mehr über die Kollodium Nassplatte könnt Ihr wie gesagt in der Folge 9 und Folge 39 meines Studio Kreativkommune Podcast hören.
Literatur
Im deutschsprachigen Raum gibt es leider nur ein Buch zum Thema Nassplatte: „Das Kollodium: Handbuch der modernen Nassplattenfotografie“ (Amazon-Partner-Link) von Peter Michels.
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Fange grade mit kollodium an.
Ist für mich informativ gewesen.
Danke. Freundliche Grüße H.Beekes.
Hallo Herr Schlicksbier,
tolle Art der Fotografie und sehr schön umgesetzt finde ich. Bieten Sie zu dem Thema auch Workshops an, oder kenne Sie jemanden in Norddeutschland, der so etwas anbietet?
Freu mich auf ein Rückmeldung mit besten Grüßen aus Hamburg
Christof Haake
Moin,
ich biete das leider nicht mehr an, weil es sich hier in Schleswig-Holstein, den kulturellen badlands des Landes, leider nicht gelohnt hat, deswegen ein Studio nebst Labor vorzuhalten. Leider ist vor ein paar Jahren auch Oliver Rolf aus Hamburg verstorben, so dass ich hier im Norden nur noch von Thilo Nass weiß, der Kurse in Hannover anbietet: https://silberbilder.nass.de/kollodium-nassplatten-workshops
Mehr Auswahl ist dann eher in Richtung Berlin …