In der Rückschau zeigt sich vielleicht auch, wie Twitter für die Semantik schädlich sein kann, denn viele Sachverhalte lassen sich in 280 Zeichen schlecht vermitteln und Feinheiten gesehen unter. Wenn ich mir den ersten Kernsatz für sich alleine vornehme, frage ich mich doch gleich, ob das nicht für alle Bereiche gilt, in denen etwas erzählt wird. Auch in einem Roman entstehen zu dem, was ich gerade lese, eigenständige Bilder in meinem Kopf, die zwar durch ein paar Parameter im Text angefüttert, ansonsten aber durch meine eigene Phantasie ausgeschmückt werden. Genauso bekomme ich im Film — zumindest in den guten Streifen — nicht alles vorgekaut, sondern muss mir gewisse Sachen selbst erschließen — besonders bei den Dingen, die zwischen zwei Szenen passiert sein müssen. Wo ist da also der Unterschied zum Standbild? Sind gute Geschichten nicht immer nur ein vorgegebener Startpunkt, der sich dann in unseren Köpfen individuell weiter entwickelt? Keine Frage. Ein Bild kann immer nur den Ausschnitt aus einer Geschichte zeigen. Das, was drumherum geschehen sein mag oder geschieht, sieht man nicht und man muss es sich gegebenenfalls selbst erschließen. Nur ist das im Roman und im Film genau so. Was dort vor oder nach der erzählten Geschichte — oder sogar währenddessen auf den ausgelassenen Plätzen — geschieht, bekommen wir ja auch nicht mit. Wir als Rezipient:innen werden eigentlich immer zum Komplizen der Künstler:innen.
Der zweite Kernsatz trifft sogar genau so zu — bei einem Fotografen, der damit absichtlich spielt. Der Brite Mac Adams zeigt uns in seiner „Narrative Void“-Serie in jeweils einem Bild ein Vorher und ein Nachher und zwingt dem Betrachter auf, die Geschichte dazwischen im eigenen Kopf entstehen zu lassen.
Diese Beschäftigung hat für mich aber noch mal viel Klarheit gebracht. Ja, ich möchte mit meinen Bildern Geschichten erzählen und ich erzähle sie. Aber ich bin nicht der alleinige Erzähler in dieser Gleichung. Aus dem, was ich erzählen möchte, zeige ich den Betrachtern einige Eckpunkte (mehr als Mac Adams in seiner Serie zeigt), die dann in deren Köpfen eigene Assoziationen, Fragen und Ideen aufwerfen, auf dass dort die Geschichte ein gewisses Eigenleben entwickelt. Meine Geschichte ist es dann nicht mehr zwingend. Aber ist es nicht für alle spannender, wenn es nun unsere Geschichte geworden ist?
Hier haben wir auch den direkten Brückenschlag zum Ort meiner Handlung — dem Dorf. Auch im Dorf sieht man häufig ein allgemein bekanntes Vorher und ein Nachher und der Dorffunk füllt Mac Adams narrative Leere mit vielen subjektiven Versionen. Welche, die der Wahrheit entsprechen mögen, andere, die mehr über das Weltbild der Tratschenden sagt als über das tatsächliche Geschehen. So unterscheiden sich die Ansichten stark, wie das Mädchen in meiner Serie ihre Attitüde neu gefunden hat. Welche die richtigen sind, bleibt jedem selbst zu entschlüsseln.
Ich möchte diese kleine Einleitung aber auch unbedingt dafür nutzen, meine Dankbarkeit auszudrücken. Narrative Serien haben den Aufwand von mindestens einem Kurzfilm. Das hier in dieser Region ohne Budget hinzubekommen — und das auch noch während einer globalen Pandemie und mit widrigem Wetter —, funktioniert nur mit der fantastischen Hilfe vieler Menschen. Dass ich sieben neunjährige Kinder gefunden habe, die bei so einer Serie mitmachen dürfen und deren Termine so zu koordinieren, dass es alles zeitlich passt, habe ich einzig und alleine Svenja, der Mutter meiner fantastischen Hauptdarstellerin, zu verdanken. Und ich habe wirklich Glück, wie unglaublich ausdrucksstark und engagiert meine Hauptdarstellerin war. Dass wir auf ihren ebenfalls total motivierten Freundeskreis zurückgreifen konnten, hat natürlich auch bei der Chemie am Set ungeheuer geholfen. Ich hätte im Vorfeld nicht gedacht, wie angenehm und einfach es werden würde, mit Kindern in diesem Alter zusammen zu arbeiten. Auch hier zeigt sich, wie Einstellungen immer wieder hinterfragt werden müssen. Attitüde durch und durch. Vor und hinter der Kamera und auf den Bildern.
Die Ausstellung vom 30.04. – 15.05.
Die fertigen Bilder, die es hier jetzt nur als Making Of zu sehen gab, könnt Ihr vom 30.04. – 15.05. in unserer „Fotografie im Norden“ Ausstellung live sehen.
Neben den Bildern an der Wand wollen wir auch Objekte aus den Fotoshootings physisch vor Ort zeigen.
Alle Originale kann man selbstverständlich erwerben. Dazu wird es auch einen Ausstellungskatalog, Postkarten und Drucke mit Bildern aus dieser und vergangener Serien geben. Besucher:innen haben zudem die Möglichkeit sich von uns vor Ort in einem festen Setting auf Sofortbild fotografieren zu lassen (Fotoaufnahmen nur Mi-Sa).
Ort: Pop-Up Gallerie in der Hofstube Gut Blockshagen, 24247 Mielkendorf
Öffnungszeiten: Mi-Sa 10-19 (ohne Café-Betrieb), So 10-17 (mit Café-Betrieb). Keine Veranstaltung am 14.5.
Eintritt: frei
Die Künstler:innen sind anwesend:
Mi-Fr 10-15:30: Erik Schlicksbier
Mi-Fr 15:30-19: Marlena Wels
Sa&So: Jona Rothert
Vernissage am 30.04. um 18:00 mit Anwesenheit von Jona Rothert und Marlena Wels – vorher ab 10:00 schon Soft-Opening.
Der Ausstellungskatalog
Den Ausstellungskatalog wird es in zwei verschiedenen Formen geben:
Als Limited Edition in besonderer Aufmachung mit Schweizer Broschur, offenem Buchrücken, Fadenbindung, Umschlagklappen, hochwertigem Papier, nummeriert und signiert. Diesen edlen Katalog kann man besonders gut aufklappen. Wenn Du Dir ein Exemplar sichern willst, kannst Du es Dir hier gleich bestellen oder schicke mir eine Nachricht, wenn Du ein Exemplar verbindlich reservieren und das Buch dann direkt bei der Ausstellung persönlich abholen möchtest.
Die normale Fassung des Kataloges ist eine günstigere, unlimitierte Fassung, die einfacher ausgestattet ist. Normales Softcover mit Klebebindung auf 150g Mattpapier. Der Inhalt ist aber 1:1 identisch. Du kannst Dir die normale Fassung hier vorbestellen, sie wird ab Ende April aber auch im stationären Handel und im Onlinehandel unter der ISBN 978-3-347-60155-0 zu kaufen sein.
Making of Bilder von Marlena Wels und Erik Schlicksbier
Katalogdesign: Sarah Küper
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