AI – Hört mit dem Lamentieren auf!
Geht es an den Kern des eigenen Schaffens oder gar an die eigene Existenz, werden Reaktionen meist recht dünnhäutig und die Welt erscheint meist nur noch schwarz und weiß. Immer wieder gerne in den („sozialen“) Medien zu sehen — nicht nur im Bereich der (generativen) künstlichen Intelligenz.
Keine Frage — ich verstehe den Grund dieser Dünnhäutigkeit, aber die Art der Reaktionen ist inzwischen nur noch ermüdend. Zum einen weil viele der Kolleg:innen natürlich die Möglichkeiten der AI-basierten Retusche selbst gar nicht mehr missen wollen würden (und nur die „böse“ generative AI verhindern wollen), zum anderen, weil noch immer panisch versucht wird, die Büchse der Pandora wieder zu schließen. Ein Unterfangen, von dem wir wissen, dass es zum Scheitern verurteilt ist. Anstatt die Wut auf Firmen wie OpenAI zu konzentrieren — warum nicht die Wut auf unsere vermeintlichen Interessenverbände richten? Nicht zum ersten Mal haben sie ein einschneidendes Thema in der Fotografie völlig verpennt. Das Zetern und Zähneknirschen über die DSGVO kam, als diese kurz vor dem Inkrafttreten stand, obwohl sie jahrelang in der Mache und schon lang vor dem Inkrafttreten beschlossene Sache war. Freelens, BFF, BPP und wie sie alle heißen schienen das Ausmaß so lange zu verkennen, bis es zu spät war. Wenn sie daraus gelernt hätten und wachsamer geworden wären, dann hätten sie schon vor drei Jahren festgestellt, dass das Urheberrecht mit §44b durch das „Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes vom 31.05.2021 (BGBl. I S. 1204)“ dahingehend geändert wurde, dass Datamining zulässig ist und dass dem aktiv in maschinenlesbarer Form widersprochen werden muss. Warum gab es also nicht 2021 schon ein Aufschrei gegenüber der Aufweichung des Urheberrechts? Oder Hinweise, wie Fotograf:innen online ihre Werke schützen können? Weil es verpennt wurde. Wieder mal. Auch 2022 und bis Mitte 2023 schien keiner die Probleme zu erahnen. Wahrscheinlich wurden die Bildergebnisse der Generatoren nur verlacht, bis dann irgendwann das Lachen im Halse stecken blieb.
Wie reagieren nun erschreckend viele Fotograf:innen darauf? Mit einer Mischung aus „Kopf in den Sand“ und Wut, anstatt endlich zu begreifen, dass die AI nie wieder zurückzudrängen sein wird — egal, wie die angestrengten Urheberrechtsprozesse ausgehen werden. Es werden im Zweifel ein paar Millionen oder Milliarden gezahlt, aber das Kind ist nun mal in den Brunnen gefallen. Da werden auch diese Prozesse nichts mehr dran ändern. Wir befinden uns in einer noch dramatischeren Wandlung als von der analogen zur digitalen Fotografie, wo schon viele Fotostudios die Vogel-Strauß-Taktik versuchten und am Ende dann weg vom Fenster waren.
Pastiche und Appropriation Art gab es schon immer. Hat Duchamp den Hersteller des Urinals gefragt? Warhol den Designer der Suppendose? Nein, Campbell hatte sogar über rechtliche Schritte nachgedacht, dann aber den Werbewert erkannt. Extrem viele Fotograf:innen und Agenturen arbeiten mit Moodboards, in denen Bilder von vielen Fotograf:innen reingeladen werden, weil der und der Look bei der Kampagne / bei dem Motiv gewünscht wird. Alles seit Jahrzehnten Praxis und Gewohnheit. Und nun ahmt es ein Computer nach — und der Aufschrei ist groß. Ich vermute, dass es gar nicht so sehr um die Nachahmung an sich geht (denn viele haben sich oft selbst von anderen „inspirieren“ lassen), sondern einfach, dass es jetzt der Masse offen steht und so auch künstlerisch und/oder technisch unbegabtere Menschen adäquate Ergebnisse erzielen. Sprich: Das bisherige Geschäftsmodell steht zur Disposition. Unbequem? Ganz sicher. Bedrohlich? Für viele auch — und mehr als es momentan denken. Dass Stock (sowohl in Bildern als auch der Musik) bald ganz tot ist, wird den Meisten noch klar sein. Und bei der Qualität der meisten Stock-Angebote wird sich bei meisten das Bedauern sicher noch in Grenzen halten. Aber auch viele Business- und Corporate-Sachen werden bald vorbei sein. Warum soll ich Arbeitszeit meiner Mitarbeiter:innen vergeuden, in die Produktion Unruhe bringen, wenn ich ein paar Schnappschüsse in die AI laden kann und das nächste Set an Corporate Bilder klar haben? Oder warum soll man noch im Winter um die halbe Welt jetten, um die Sommermode zu fotografieren? Sicher wird es Marken geben, denen Authentizität wichtig ist, wo dann aber auch die Art der Entstehung mit ein Element des Storytellings werden dürfte. Aber für das Gros wird über kurz oder lang die KI günstiger und schneller zu gleichwertigen oder sogar besseren Ergebnissen führen. B2C-Fotograf:innen (mit Ausnahme der Bewerbungsbildindustrie, die auch bald vorbei sein dürfte) sollten sich aber nicht zu entspannt zurücklehnen, denn die ganze B2B-Kolleg:innen werden sich sicher nicht ihrem Schicksal ergeben sondern auf die übrig bleibenden Märkte ausweichen, so dass auch hier die Luft für alle dünner wird.
Aber was hilft das Lamentieren? Nicht ohne Grund heißt es seit Jahrhunderten „tempora mutantur, nos et mutamur in illis“. Anstatt also seine gesamte Energie darauf zu verschwenden, den Geist wieder in die Flasche bekommen zu wollen, sollten sich alle lieber Gedanken über ihr eigenes Schaffen machen. Wie erreiche ich es, dass mich eine AI eben nicht überflüssig macht? Was kann ich Kund:innen bieten, was die AI nicht bieten kann? Was für einen Mehrwert kann ich also bieten? Und auch: Wie kann ich die AI sinnvoll für mich selbst einsetzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Denn die AI kann Aufgaben übernehmen, die man sonst hätte outsourcen müssen oder die einfach unwirtschaftlich lange gedauert hätten.
Wenn wir darüber diskutieren würden und wenn wir über die echten, gesamtgesellschaftlichen Probleme der AI (Deepfakes uvm.) sprechen würden, wäre uns allen mehr geholfen als über das reine Rumgeheule über die böse AI.
Bilder sind mit Midjourney v6 generiert. Prompt: „illustration about how photographers feel when they are replaced by AI“
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Hi Erik,
danke für den Artikel. Gut geschrieben und trifft es genau auf den Punkt. Es ist ja nichts Neues, das Gejammere. Schaut man sich die großen Veränderungen der letzten 100 Jahre an, war es doch schon immer so. Print, TV, Radio. Das beste Beispiel der letzten Dekaden war doch das Streamen von Musik. Erst war der Aufschrei sehr groß und jetzt wird sich gerühmt, die Nr 1 bei Spotify zu sein. Und jetzt hat es mal die Fotobranche bzw Kreative-Branche „hart“ getroffen. Und zynisch gesagt, ist es anscheinend mal wieder Zeit für eine Marktbereinigung. Wer zu lange jammert, wird nicht überleben. Ähnlich war es doch auch beim Fall des Meistertitels in DE. Was war die Branche aufgeregt. Es ist wohl eher ein Pattern, was sich durch unsere Gesellschaft zieht. Veränderung macht erstmal Angst, da wir brav auf Beständigkeit konditioniert werden, anstatt zu akzeptieren, dass das einzig Beständige, die Veränderung ist.
KI ist nicht mehr aufzuhalten. Also schauen wir doch nach vorn. Das macht mehr Sinn und Spaß 😉